Kanton Bern: Tagesfamilien stehen massiv unter Druck
Tagesfamilienorganisationen geraten seit Einführung der Betreuungsgutscheine zunehmend in finanzielle Engpässe. Zudem geht die Anzahl Betreuungsverhältnisse spürbar zurück. kibesuisse fordert deshalb, den maximalen Subventionsbeitrag um mindestens 20 Prozent zu erhöhen und die bestehende Ungleichbehandlung der Tagesfamilien im Vergleich zu anderen Betreuungsformen zu beseitigen.
Tagesfamilien kämpfen ums Überleben
«Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir uns entschieden haben, den Tageselternverein Region Worb per 30. April 2025 aufzulösen. Für das wirtschaftliche Überleben einer Tagesfamilienorganisation braucht es eine kritische Grösse, und die erhöhten Anforderungen des Kantons machen es einer kleineren Organisation unmöglich, rentabel arbeiten zu können.» Diese Meldung von Prisca Lüthi, Präsidentin des Tageselternvereins Region Worb, ist bei Weitem kein Einzelfall. Im Kanton Bern kämpfen auch andere Tagesfamilienorganisationen (TFO) um ihre Existenz.
Gutscheine sind zu tief
Die oben genannten Anforderungen betreffen sowohl den Vermittlungsprozess als auch die Abwicklung der Administration der Betreuungsgutscheine. Diese Grundlagen hat eine Tagesfamilienorganisation zu erfüllen, um Betreuungsgutscheine entgegennehmen zu können. Die Gutscheine fallen für die Tagesfamilien jedoch so tief aus, dass es schwierig ist, Tagesfamilien zu finden, die bereit sind, auch nur wenige Kinder zu betreuen. Dies erstaunt nicht, weil bei Stundenlöhnen von rund sieben Franken Ansprüche an Aus- und Weiterbildung der Betreuungspersonen berechtigterweise in Frage gestellt werden können.
Ergänzung statt Konkurrenz
Gleichzeitig weisen die regionalen Sozialdienste insbesondere schulpflichtige Kinder von Familien, die sich die familienergänzende Bildung und Betreuung nicht leisten können und dringend auf die Subventionen angewiesen sind, zunehmend den im Vergleich günstigeren Tagesschulen zu – die Tagesfamilien bleiben dabei aussen vor. Ignoriert wird auch, dass die Tagesschule aus Sicht des Kindes nicht immer das ideale Setting darstellt. So kann eine Tagesschule aufgrund der Tagesabläufe und der Gruppengrösse nicht in jedem Fall auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Dagegen können Tagesfamilien für Kinder mit spezifischen Bedürfnissen eine angemessene Betreuung im familiären Rahmen ermöglichen. Zudem ergänzen sie die zwei anderen Formen der familienergänzenden Bildung und Betreuung, entweder wo diese zu teuer sind oder gar kein Angebot besteht, zum Beispiel im ländlichen Raum oder bei unregelmässigen Arbeitszeiten der Eltern.
Betreuungsverhältnisse um die Hälfte zurückgegangen
Ungeachtet dieser Vorteile hat die Anzahl der Betreuungsstunden in Tagesfamilien in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen. Waren zu Spitzenzeiten des Tageselternvereins Region Worb 28 Tagesfamilien für die familienergänzende Bildung und Betreuung von rund 85 Familien zuständig, waren es zuletzt nur noch 13 Tagesfamilien für etwas mehr als 50 Betreuungsverhältnisse. «Die TFO wollen ganz klar eine qualitativ hochwertige familienergänzende Bildung und Betreuung anbieten können», unterstreicht Prisca Lüthi. Allerdings benötigen sie zum einen ausreichend Finanzen für die Rekrutierung von geeigneten Betreuungspersonen sowie für deren Begleitung und Weiterbildung. Zum anderen brauchen sie Ressourcen für die Administration und die Ausbildung von Vermittlungspersonen.
Betreuungspersonen in Tagesfamilien brauchen faire Löhne
Mit Abstand am wichtigsten ist jedoch, dass die TFO den Betreuungspersonen einen zeitgemässen, fairen Lohn bezahlen können. Heutzutage erhalten die Betreuungspersonen rund sieben Franken pro Kind und Stunde: Darin enthalten ist auch die zur Verfügung gestellte Infrastruktur. Erfreulicherweise ist der Kanton Bern diesem Missstand zumindest teilweise angegangen. Bei der Vernehmlassung der zweiten Teilrevision der Verordnung über die Leistungsangebote der Familien-, Kinder- und Jugendförderung (FKJV), in der die Voraussetzungen für Betreuungsgutscheine geregelt ist, hat er die in entsprechenden Motionen geforderten Anpassungen nicht nur für Kitas, sondern auch für Tagesfamilien übernommen.
Ungleichbehandlung bleibt bestehen
Zugleich wurde hier die Chance verpasst, die bestehende Ungleichbehandlung der Tagesfamilien im Vergleich zu den Kitas vollständig zu beseitigen. Der maximale Subventionsbeitrag beläuft sich auf aktuell 85 Franken für 10 Stunden Betreuung eines Kindes in einer Tagesfamilie, während er für einen Betreuungstag in der Kita 100 Franken beträgt. In der FKJV-Vernehmlassung hat der Kanton vorgeschlagen, beide maximalen Subventionsbeiträge um 5 Prozent zu erhöhen, das heisst, neu wären es 89 Franken für Tagesfamilien und 105 Franken für Kitas. Trotzdem reichen diese Beiträge nicht aus, denn die Tarife liegen schon lange nicht mehr bei den in der FKJV angenommenen 120 Franken pro Tag. Durchschnittlich haben sich die Tarife um 7 Prozent erhöht und betragen teilweise bis 140 Franken pro Tag.
Subventionsbeitrag muss der Realität entsprechen
Die vom Kanton vorgeschlagene Erhöhung von 5 Prozent ist somit nichts mehr als der berühmte Tropfen auf dem heissen Stein. Deshalb fordert kibesuisse, nicht nur die bereits erfolgten Tariferhöhungen zu anerkennen, sondern zusätzlich dazu den maximalen Subventionsbeitrag um mindestens 20 Prozent des bestehenden Beitrags anzuheben. «Dies wäre eine massgebliche, konsequente und realitätsnahe Erhöhung», betont Melanie Bolz, Leitung Region Deutschsprachiges Mittelland bei kibesuisse. «Dadurch hätten Tagesfamilien endlich die Möglichkeit, ihren Betreuungspersonen faire Löhne zu zahlen.»